Der Hund, der Berg und der Ehrgeiz

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Die Nacht war kurz, der Ehrgeiz groß.

Im fahlen Dämmerschein schloss ich meine Jacke und im vollen Licht der aufgehenden Sonne wollte ich Sie auf dem Berg wieder öffnen. An der gleichen Stelle, an der ich bereits vor etlichen Jahren mit meinem ersten Hund Aika stand. Einem Golden Retriever, der fast 16 Jahre an meiner Seite war. 

Eine halbe Stunde später war das Licht bereits voller und das feuchte Fell meines Hundes glatt. Die Bäume trieften und nahmen mir jede Sicht auf die Höhe. Und während das Licht das Tal erreichte, verharrte ich auf einer Lichtinsel. Von hier aus floss die Dunkelheit wie eine Strandwelle den Wald hinauf. Nirgends zeigte sich ein grober Einschlag durch den Mensch. Was mich einerseits begeisterte, kostete andererseits viel Kraft. Alte umgefallene Bäume lagen quer über dem Pfad. Alles, was ich jetzt übersehe und überhöre, werde ich auf dem Rückweg genießen. Die Pilze, die Farne, die Lichtperlen auf den bauchigen Moospolstern. Der Tau auf den Flechten und das neue Leben auf dem toten Holz.

Ehrgeiz ist kein Genuss

Bereits nach einer gefühlten Ewigkeit nagte der erste Zweifel an meiner Motivation. Die umgestürzten Bäume, der verwilderte Pfad, das feuchte Hemd. Von nun an wurde mein sichtbarer Atem voller und der Weg nach oben zu einem Weg nach innen. Ehrgeiz ist kein Genuss, stelle ich fest und halte kurz inne. Aber mir ist nach der Sicht von der Plattform. Nach dem Blick auf den Bergrücken, der damals wie ein Pferderücken dampfte. Und ich wollte, dass an die Stelle der monotonen Schlagwörter wieder farbige Zeilen treten. ”Weiter und weiter”, kommt es mir tonlos über die Lippen.

Inka meine Hündin läuft vorne weg und sieht sich immer öfters um. Sie spürt, dass sich mein Rhythmus ständig ändert. ”Lauf Inka, lauf” sage ich und meine bis zum nächsten Wendepunkt. Es ist wieder ein umgefallener Baum. Er ist bereits mein dritter Motivationspunkt, der mich ziehen soll. Sollte der Pfad sich ab dort erneut in einer dunklen Schleife nach oben verlieren, würde meine Vernunft über einen blinden Ehrgeiz siegen.

Der Zeilenweg

Der Aufstieg wird steiler und die Baumwurzeln erscheinen mir wilder als bisher. Hier und da boten sie Halt für einen sicheren Tritt, und Halt für sich selbst, den sie in Rissen und Spalten des steinigen Untergrundes fanden. Beim nächsten Schritt trete ich auf eine Moderschicht und rutsche ab. Ein umliegendes Holz fängt mich ab und bricht. Etwas tiefer bietet ein Stein wieder Stand und ich fühle durch das breite nasse Holz in meiner Hand eine unerwartete Kälte. Es schien, als wich der Winter aus ihm – Schneebruch.

Im faden Himmel zeigen sich Äste, die wie Stacheln aus einem stolzen Stamm ragen, gefolgt von einer lichten Baumkrone. Bauchige Schneelast zwang einst Teile ihrer Spitze mit ihren funkelnden Sternen in die Tiefe. Danach flirrten noch einige Eiskristalle in einem kalten Luftzug, und das kleine hässliche Loch in der einst sanften Schneelandschaft wurde noch etwas größer.

Bereits nach wenigen Meter stehe ich vor einem riesigen Wurzelwerk, das wie ein halber Teller aus dem Boden ragt. Dort riecht es nach Waldboden pur. Großporig, feucht und atmungsaktiv. Also das Gegenteil von Stadtpflaster und gummierten Handläufen von Rolltreppen.

Ich atme tief durch und sehe mich um. Das tiefe Loch, die gebrochenen Stämme. Einzigartig denke ich und gleichzeitig auch an Aufgabe. Ein letzter Blick durch den Schleier aus ausgewaschenen Wurzelfransen am Rande des Wurzelberges. Sind das nicht die zwei Felsen, die mich in ihrer Ähnlichkeit an Geschwister erinnerten? Auch damals entfaltete diese behütende Formation wie ein Wahrzeichen ihre Magie.  

Ich bin kurz vor dem Ziel und nehme Inka an die Leine.  Alles war wie vor etlichen Jahren. Ab jetzt wurde aus dem schmalen Pfad der Schlagwörter wieder ein Weg der Zeilen. Nein, dieser Wald ist längst kein Wald wie jeder andere, und die Aussicht, die mich in Kürze erwartet, war ebenso keine Aussicht wie jede andere.

Wenn der Himmel zu den Bäumen hinabsteigt

Die Stelle, an der ich einst mit Aika – meiner ersten Hündin – in die Runde blickte, war schnell gefunden. Der Trampelpfad ins Nachbartal war damals nicht ganz so markant, und das Tal selbst lag im Osten unter einer dichten, weißen Nebeldecke. Groß und lang wie ein Landsee wogten seine Ausläufer bis an die untere Spitze der Hügelkette. Diesmal war die Sicht frei. Aber damals wie heute stieg der Himmel im Westen zu den Bäumen hinab, und die Nadelzweige kämmten die Feuchtigkeit aus dem Nebelschleier. 

In einem fabulösen legendengrau, das zunehmend dunkler wurde. Auch Inka hob prüfend ihre Nase in den Himmel. Noch war auf ihr der fahle Glanz einer Sonne, die als schwacher Fleck unter der Wolkendecke verschwand. Es wurde kühl, und eine Böe öffnete den Nebel wie einen Vorhang. Äste tanzten und am Fell meines Hundes taute der Nebel. Ich trieb zur Eile. Hinter mir zerfetzten die Spitze der Bäume die Nebelstreifen, und mein Hund lief erneut in die Gewissheit höchster Anerkennung hinein.

Im Wald, an der Felsformation, bekam Inka nochmals Lob und Leckerli. In knapp einer Stunde könnte der zweite Kaffee durch die Filtertüte fließen, während ein Butterwürfel auf einem Rapsölfilm eine glänzende Spur am Pfannenrand zieht. So glänzend, wie später das Rührei mit Schinken und Schnittlauch auf den Teller kommt. Dazu ein dunkles Bauernbrot und ein wenig Hartkäse. Alles frisch vom Bauern.

Inka führte indes ihre Nase dicht über feuchtes Gras. Sie roch die Wildspuren von heute und von gestern. Auch die von vorgestern? Sicher! Und die vor einer Woche? Ich weiß es nicht. Vermutlich. Was weiß ich über Hunde? Was weiß mein Hund über mich? Gärt unter ihrem feuchten Fell noch immer die Eifersucht? In zwei Tagen erhalte ich Besuch. 

© Dieter Wolff

Kontakt: dieter.wolff.belichtet@gmail.com

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Fortsetzung:

Der beste Freund des Menschen?

Mögen Hunde wirklich alle Menschen? Auch den neuen Partner, der ebenfalls die Nähe sucht? Wie sind die Tage und wie die Nächte? Wer lernt von wem? Eine kleine Satire weiß mehr.