Liebe riecht nach Regen

Woher kam dieser leicht vibrierende Atem?

Philip Marlowe presste sich gegen die Stofftapete als hinge von ihr sein Leben ab. Völlig gelähmt hörte er in die Dunkelheit. Da war es wieder. Woher kam dieser leicht vibrierende Atem? Und dieses leise Kratzen? War es ein asthmatischer Killer mit Dreck an den Füssen? Die Marmortreppe vor dem Haus war so clean wie die leeren Kleiderschränke. Und der Zufahrtsweg so sauber wie die zunehmenden Blitze über dem See.

Vier Augen und ein Blitz

Nach dem nächsten Flackern in den Wolkentürmen würde er denn Landsitz wieder mit der kleinen Statue verlassen. Mehr hatte er nicht zugesagt, und mehr gaben seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Privatdetektiv auch nicht her. Kein Blut, keine Diebstähle und keine Politik. Lediglich Rückführungen an den Eigentümer auf dem kleinen Dienstweg. Dafür bot er exzellente Verbindungen in die ehrenwerte Gesellschaft und seine Nerven. Und die lagen im Moment blank. Wann und von wo kam das Kratzen? Wie weit liefen die Fenster hinter dem schweren Vorhang an der Stirnwand entlang? Und nahm das Wetterleuchten zu oder ab? Philip rutschte langsam in die Hocke und glitt mit dem Blick die untere Kante der dunklen Vorhänge ab. Nichts. Die Monotonie brachte weder Licht noch Weisheit. Und der Atem und das Kratzen? Und war da eine Bewegung in der hinteren Ecke? Als auf den nächsten Blitz ein Donner folgte, rauschte durch Philips Adern das Adrenalin, und alles ging ganz schnell. Mit seiner Statue in der Brusttasche und einem Welpen im Arm verließ er fluchtartig das Haus und lief am See in schweres Gewitter.

Später würde eine Frau erzählen, dass sie bei diesem Unwetter einen Mann sah, der einen Welpen so innig an der Brust hielt, als wäre der Regen die Liebe.

Mattes Kühlschranklicht erhellte sein Gesicht…

und die Stille kam abrupt. War da nicht eben noch das Geräusch von gerissenem Papier und einem Schuh, der über vier Treppen fiel. War da nicht eben noch eine fette akustische Jagdszene im Nebenzimmer. Ja, da war eine. Aber nicht jetzt. Der Blick nach unten zeigte seinen jungen Freund mit tellergroßen Augen und einer exzellenten Haltung im ”sitz”. Bedächtig legte Philip die Wurst beiseite und öffnete die beschlagene Verandatür zum Garten.

Weit draußen zählte der California Zephyr die Gleise und würde wohl in einer Stunde pünktlich Chicago erreichen. Und etwas früher als sonst, käme in einer Woche die Nachricht vom ersten Schnee in der Sierra Nevada in die Bahnhöfe. Philip kannte die meterhohen Schneeverwehungen vom Donnerpass aus einer Überquerung in einem Pullmann Salon Wagen. Links vereiste Bergwände, in der Mitte das Silberbesteck, und rechts der Abgrund.

Ein Hund namens Sierra 

Sein Welpe indes fand sein Glück in jeder Richtung. War da nicht eben ein Lächeln in diesem vom Leben gezeichneten Gesicht? Es schien, als würden beide lächeln. Trotz der eisigen Kälte, in der der weise Atem des Welpen mit jeder Runde länger und länger wurde.

Die Übergabe der Statue in schlanke Frauenhände verlief geradezu nobel. Einen Teil seines Honorars erhielt er in einer großen, handgefertigten Arzttasche mit gepolsterten Henkeln. Ausgehändigt von einem Mann fürs Grobe. Den Rest bekäme er mit drei Sack Hundefutter in Naperville. Eine kleine, unauffällige Gemeinde – etwa 50 Meilen westlich von downtown Chicago. Think globally, act locally lautete die Devise und man würde sich gegenseitig weiterempfehlen. Ebenso das Ambiente und den Pianisten mit seinen dezenten Swing und Bossa Nova Rhythmen. Ja, das hatte Stil und kühlte die blauen Flecken auf seinem Gemüt.

Philip rieb sich ein wenig Wärme in die Arme und dachte über einen Namen für sein jungen Freund nach. Das es sich bereits bei ”junger Freund” um ein Prädikat erster Güte handelte erschließt sich erst, wenn man weiß, dass er immerhin den Rücksitz seines Chevy Bel Air aus dem Jahre 1954 vollkotzte. 

Schade, dachte Philip. Er hätte ihn sonst Chevy genannt. ”Sierra“, legte er sich nun eindeutig fest. Er würde ihn ”Sierra” nennen. Das klang nach Wildnis, Zuversicht und Wertschätzung. Vor Jahren erhielt er einmal Gold Nuggets aus der Sierra als Bonus zu seinem Honorar für ”besondere Verdienste”.

Sein dreckigster Fall

Philip ging in die Hocke und strich einen matten Fleck aus dem Chrom des Fressnapfs. Wenigstens der sollte blitzsauber bleiben. Jetzt und Morgen. Jetzt und in den nächsten Wochen, wenn er in den dreckigsten Fall seines Lebens investieren würde. 

Morgen, wenn der Frost noch jedem Schritt halt gab, würde er beginnen. Wie viele Schuhe hatte er noch? Und bekäme er für seinen alten Fedora Filzhut noch eine gute Bommelmütze? Ja, strich er sich über das unrasierte Kinn; für seinen Welpen würde er sich auch mit einer Bommelmütze zum Affen machen. Und nicht nur das. Er würde sich bei jedem Wetter antreiben. Auch dann, wenn sich Präriegräser in den breiten Wasserpfützen spiegeln, weil der Boden satt an Wasser ist. Oder trockener Wind die Tumbleweeds wie Bälle vor sich her treibt.

Von nun an wäre der Dreck im Bauchfell seines Hundes auch sein Dreck bis an die Knie.

© Dieter Wolff